Leben mit Demenz
Gedächtnisstörungen, Depression, Angst, Verfolgungswahn, Schlaflosigkeit: Rund 25 Millionen Menschen leiden weltweit unter Demenz. Obwohl diese Krankheit bisher unheilbar ist, gibt es Therapien, die der Seele guttun. Neben Störungen des Kurzzeitgedächtnisses und Wortfindungsproblemen gehöre die Schwierigkeit, sich in ungewohnter Umgebung zurechtzufinden, zu den ersten Anzeichen einer Alzheimer-Erkrankung. Angehörigen fallen deshalb oft während des Urlaubes die Symptome das erste Mal auf. Und sind geschockt. Doch schlimmer als für das Umfeld ist es natürlich für den Betroffenen selbst, wenn er merkt, dass er sich nichts mehr merken kann.
Frank Reuß
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Was ist Demenz?
Es gibt mehr als 70 verschiedene Formen von Demenz, zu den häufigsten zählt die Alzheimer-Krankheit. Wenn die Wissenschaft, die derzeit unter anderem an einer Art Impfung forscht, kein Gegenmittel findet, wird sich die Zahl von derzeit rund 1,2 Millionen Betroffenen in Deutschland wegen der steigenden Lebenserwartung in den nächsten 40 Jahren vervierfachen! Und obwohl längst die Rede von einer Volkskrankheit ist, sind die Ursachen auch über hundert Jahre nach ihrer Entdeckung durch Alois Alzheimer nicht genau bekannt. Der Breslauer Arzt hatte bei pathologischen Untersuchungen im Gehirn verstorbener Patienten Ablagerungen entdeckt, die er „Plaques“ nannte. Dabei handelt es sich um Eiweißmoleküle. Werden sie nicht abgebaut, lagern sie sich an den Nervenzellen an und verhindern die Übertragung der Gehirnimpulse. Folge: eine Störung im Gehirn. So denkt ein Demenzkranker am Esstisch zwar „Gabel“, sagt aber vielleicht „Schlüssel“, weil der Impuls im Gehirn nicht richtig weitergeleitet wird.
So weit die Fakten. Wie aber fühlt es sich an, wenn man langsam das Gedächtnis verliert?
Vielleicht ähnlich wie nach einem anstrengenden Langstreckenflug von Frankfurt nach Tokio. Man steigt völlig übermüdet aus und ist plötzlich konfrontiert mit Menschenmassen, Lärm, fremder Sprache und Schrift. Jeder scheint Bescheid zu wissen, alle strömen zielsicher die Gänge entlang. Nur man selbst bleibt stehen und sucht nach Orientierungspunkten im allgemeinen Chaos. Schon als gesunder Mensch überfordert einen ein solches Szenario, aber anders als der Kranke, der keine Lösung findet und panisch wird, können wir die unbekannte Umgebung ordnen und Wichtiges herausfiltern. Entscheidend für das Wohlbefinden von Demenzpatienten ist daher eine vertraute Umgebung, in der sie sich sicher und geborgen fühlen. Experten sind sich einig: Menschen mit Demenz geht es nicht permanent schlecht.
„Der Demenzkranke hat immer recht“
– ein Spruch, der nicht nur in den Köpfen der Beschäftigten des AWO Seniorenzentrums in Wolfratshausen verankert ist, sondern auch auf diversen Schildern steht. Viele konfrontieren ihren demenzkranken Verwandten noch mit irgendwelchen Dingen. Dabei geht es nicht mehr um Vorwürfe, sondern nur noch darum, dass sich der Patient wohl fühlt. Und dafür sorgen hier Klang- und Windspiele, Farblampen, Pflanzen, Aromabeete und ein kleines Tiergehege. Es ist ein Leben des Augenblicks und die Zeit der „Champagnertrüffel mit Bratensoße“, wie es der Hamburger Arzt Jan Wojnar ausdrückt. Der Geist ist zwar weg, aber das Gefühl ist da – weshalb Demenzkranke auch nur dort »auf Empfang« sind. Vom Trümmerhaufen im Kopf bleiben zum Schluss nur noch Bruchstücke aus der frühen Phase bis zum Alter von 25 Jahren im Gedächtnis hängen. Diese »Prägungszeit« ist Grundlage des psychobiografischen Pflegemodells, das dem Betreuungskonzept des AWO Seniorenzentrums zugrunde liegt.
In diesem Punkt sind sich die Experten einig: Menschen mit Demenz geht es nicht permanent schlecht.
Wenn die Phase des Vergleichens vorbei ist und sie keinen Bezug mehr zum alten aktiven Leben herstellen, können sie durchaus noch schöne Momente erleben.